In Kürze
Die Jōdo Shinshū ("Schule der wahren Essenz der Reines-Land-Lehre") wurde im 13. Jahrhundert von Shinran Shōnin begründet. Sie ist eine Form des Buddhismus, deren Anhänger sich ganz der rettenden Kraft des "Buddha des Unermesslichen Lebens bzw. Lichtes" (Amida) anvertrauen. Obwohl die Jōdo Shinshū in Japan die anhängerreichste buddhistische Strömung ist, ist sie im Westen noch wenig bekannt. Zunächst hat sie Suzuki Daisetsu (1870-1966), der große Vermittler des Zen-Buddhismus, dem westlichen Publikum in einführenden Schriften und Übersetzungen nahegebracht. Von ihm stammt auch der Begriff des Shin-Buddhismus (Shin Buddhism).
Die Buddhistische Gemeinschaft Jōdo Shinshū -Deutschland (BGJ-D) wurde 1956 gegründet und verfolgt als eingetragener gemeinnütziger Verein das Ziel, die Jōdo Shinshū im Rahmen des Buddhismus im Allgemeinen und der Kultur Japans im Besonderen zu erklären und den Menschen in Deutschland verständlich zu machen. Der Verein möchte nicht nur die Kenntnis der shin-buddhistischen Lehre in Deutschland vertiefen, sondern er setzt sich auch für die Verständigung zwischen Menschen verschiedener Nationen und religiöser Überzeugungen ein (siehe Satzung §2). Als Mitglied der Deutschen und der Europäischen Buddhistischen Union setzt er sich für ein Zusammenwirken der verschiedenen nach Europa überlieferten Formen des Buddhismus ein.
Shinran Shōnin und sein Verständnis des Buddhismus
Shinran Shōnin wurde 1173 in Hino, einem Vorort von Kyōto geboren. Er entstammte einem Seitenzweig der berühmten Fujiwara-Familie, die zu seiner Zeit schon ihren Niedergang erlebte. Seine Mutter starb, als er acht Jahre alt war, sein Vater wurde buddhistischer Mönch. Ein Onkel brachte den neunjährigen Shinran ins Kloster. Wegen der fortgeschrittenen Stunde, so berichtet eine Legende, ließ der Abt jenes Klosters die Ordination auf den nächsten Morgen verschieben. Unzufrieden betrachtete der kleine Shinran einen Kirschbaum, der vor dem Tempeltor in voller Blüte stand. Da erkannte er die Vergänglichkeit und Unsicherheit aller Dinge und verfasste folgendes Gedicht:
「明日ありと 思う心の仇桜 夜半に嵐の 吹かぬものかは」
Myōnichi ari to omou kokoro no adasakura yohan ni kaze no fukanu mono kawa
(Denk ich im Herzen an morgen:/
Werden diese hinfälligen Kirschblüten/
Nicht schon in der Mitte der Nacht/
Vom Wind hinweggeweht sein?)
Zwanzig Jahre verbrachte Shinran in dem wohl wichtigsten Zentrum des japanischen Buddhismus seiner Zeit, dem Hauptkloster der Tendai-Schule auf dem Berg Hiei. Mit größtem Eifer unterzog er sich der buddhistischen Übung und dem Studium. Dabei spürte er immer mehr die große Differenz zwischen der Lebenswirklichkeit der Mönche und der buddhistischen Lehre. Die Mönche seiner Zeit waren Teil eines Staats im Staate, ihre Klöster verfügten über Ländereien, auf denen sie weitgehend Rechtshohheit besaßen. Ihnen unterstanden Leibeigene, und niedere Mönche verteidigten die Klöster als Krieger. War das Sinn und Zweck des Mönchtums? Shinran sah die Mängel nicht nur in den äußeren Umständen. Er sah sich als Kind der Zeit und wusste, dass deren Probleme auch in ihm steckten. Darum scheiterte er, wenn er zu sich ehrlich war, an den "zehntausend Übungen", die auf dem Berg Hiei gelehrt wurden, darum war er zu keiner Verwirklichung fähig.
Voller Verzweiflung über sich und sein Zeitalter, in dem buddhistische Übung offenbar nicht mehr möglich war, verließ er mit 29 Jahren den Berg Hiei, um in einem kleinen Kannon-Tempel in Kyōto über "die zukünftigen Leben" nachzudenken. Am fünfundneunzigsten Tag offenbarte ihm die Welterlösende Kannon, er solle sich an Meister Hōnen wenden.
Hōnen Shōnin lehrte damals am Stadtrand von Kyōto vor einer großen, gemischten Anhängerschaft, bestehend aus Mönchen und Laien, Männern und Frauen aller Schichten, die Anrufung des Namens des Buddha Amida. Fünf Jahre gehörte Shinran zum engsten Schülerkreis Hōnens und lernte von ihm den Buddhismus der anderen Kraft bis ins letzte Detail. Zeit seines Lebens hat er sich niemals für mehr als einen einfachen Schüler Hōnens gehalten.
Hōnens Nembutsu-Bewegung war in ihrer Offenheit eine Herausforderung an die alten Eliten. 1207 – Shinran war inzwischen 35 Jahre alt – wurde sie vom kaiserlichen Hof verboten, ihren klerikalen Anhängern wurde der mönchische Status aberkannt. Hōnen wurde nach Sanuki, Shinran nach Echigo verbannt. Beide sollten sich nie wiedersehen.
In Echigo gab Shinran das Mönchtum auf und heiratete. Fortan bezeichnete er sich als "dummen Kahlkopf" (Gutoku), der "weder Mönch noch Laie" sei. Nach seiner Begnadigung siedelte sich Shinran mit seiner Familie in der Provinz Hitachi in Ostjapan an, die im im Norden des Großraums von Tōkyō liegt. Hier widmete er sich mit großem Eifer und außerordentlichem Erfolg dem Aufbau einer Nembutsu-Gemeinde im ländlichen Raum.
Dass Shinran mit siebzig Jahren in seine alte Heimatstadt Kyōto zurückkehrte, mag viele seiner Anhänger überrascht haben. Aber in der Hauptstadt hatte er Ruhe und nur hier waren alle buddhistischen Schriften verfügbar, die für seine schriftstellerische Arbeit notwendig waren. 1247 war sein in chinesischer Sprache verfasstes Hauptwerk, das Kyōgyōshinshō, vollendet. Es folgten zahlreiche Schriften, die er für die einfachen Anhänger, in japanischer Silbenschrift schrieb, darunter die Japanischen Hymnen (Wasan), die heute bei Andachten oft rezitiert werden. In seinen letzten zwanzig Lebensjahren blieb Shinran vor allem schriftlich mit seinen Anhängern in Kontakt. Die Trennung, die am Anfang schmerzhaft gewesen sein mag, erwies sich im Nachhinein als Segen, denn sie zwang Shinran, seine Gedanken aufzuschreiben. So entstand ein Werk, das bis heute das geistige Fundament der Jōdo Shinshū bildet.
Im hohen Alter von 90 Jahren starb Shinran. Seine Anhänger errichteten ihm ein Grabmal in Kyōto, das sich im Lauf der Jahrzehnte und Jahrhunderte zu einer Pilgerstätte, dem Hongwanji-Tempel, entwickelte.
Shinrans Lehre nimmt ohne Zweifel eine Ausnahmestellung innerhalb der Lehren des Buddhismus ein. Indem er die buddhistische Meditation und die mönchische Regel aufgab, scheint Shinran dem Buddhismus seine Grundlage entzogen zu haben. Verschiedentlich hört man sogar, er habe den Buddhismus in sein Gegenteil verkehrt, aber dieses Urteil ist oberflächlich. Shinrans Lehre ist keine originelle Neuschöpfung oder mutwillige Uminterpretation, sie hat auch nichts mit dem Shintoismus zu tun, der einheimischen Religion Japans. Vielmehr geht Shinran in einer scharfsinnigen Analyse der religiösen und philosophischen Tradition einigen Tendenzen nach, die im Buddhismus immer schon vorhanden waren. So gelangt er zu einer Zuspitzung der gesamten buddhistische Lehre auf einen einzigen Punkt: die Essenz und der höchste Punkt der buddhistsichen Lehre ist die Anrufung des Buddhanamens im Vertrauen, d.h. getragen von der Kraft des Buddha.
Shinran denkt die spirituelle Entwicklung des Menschen radikal von Seiten des Buddha, die eigene Kraft des Menschen hat keinen Anteil daran. Erst wenn der Mensch all seine Kalkulationen, alle Manipulation und sämtliche Versuche, das Heil für sich oder andere zu erzwingen, aufgibt, ist er imstande, sich ganz der anderen Kraft des Buddha zu überlassen. Höchster Ausdruck des Sich-Anvertrauens ist die im Vertrauen erfahrene Buddhagegenwart (Nembutsu) in Form des ausgerufenen Namens (shōmyō). Eigentlich ruft der Buddha. Der Mensch hört diesen Ruf nur und erwidert ihn reflexartig. Alles Ichhafte ist nun im Licht des Buddha, wird dort aufgefangen und bewahrt. Es ist nichts zu tun, und es war nie etwas zu tun.
Dies ist nach Shinran die in allen buddhistischen Lehren durchscheinende Essenz des Buddhismus. Das moderne Wort Shin-Buddhismus trifft Shinrans Intention sehr genau, denn es bedeutet "Essenz-Buddhismus".
Der Hongwanji
Der Hongwanji ist der Haupttempel der Jōdo Shinshū in Kyōto. (Hongwanji ist die traditionelle Schreibweise. Oft liest man inzwischen Honganji)
Ursprünglich gab es in Kyōto nur wenige Anhänger des Shin-Buddhismus. Aber der Familie Shinrans gelang es im Lauf der Zeit, das Grabmal Shinrans zu einer Pilgerstätte und schließlich zu einem bedeutenden Tempel auszubauen. Aus dem Amt des Grabpflegers wurde das Amt des Monshū, des Oberhaupts der Schule. Selbst der heutige (25.) Monshū ist noch ein direkter Nachfahre Shinrans.
Rennyo Shōnin, dem achten Monshū, ist es zu verdanken, dass der Shin-Buddhismus zur anhängerreichten buddhistischen Schule aufstieg. Er war ein begnadeter Briefeschreiber und Motivator, der den Shin-Buddhismus mit sicherer Hand durch eines der düstersten Zeitalter der japanischen Geschichte, die späte Muromachi-Zeit, steuerte.
Nachdem der Hongwanji mehrmals Opfer von bewaffneten Überfällen durch Mönche anderer Schulen geworden war, ließ Rennyo an einer strategisch günstigen Stelle, wo sich heute die Burg von Ōsaka befindet, einen befestigten Tempel errichten. Dieser sogenannte Ishiyama-Hongwanji war für Jahrzehnte ein Machtfaktor in Japan. In 1580ger Jahren, als die Klosteranlagen auf dem Berg Hiei von dem brutalen Kriegsherrn Oda Nobunaga zerstört und tausende Mönche getötet wurden, trotzte der Ishiyama Honganji sogar einer 10jährigen Belagerung. Am Ende vereinbarte man allerdings freien Abzug für die Verteidiger und der Tempel wurde geschliffen.
Diese weiche Lösung war aber nicht im Sinne aller. Kyōnyo, der älteste Sohn des damaligen Monshū Kennyo, hatte sich energisch für eine Fortsetzung der Belagerung ausgesprochen und war deshalb von seinem Vater enterbt worden. Nach Kennyos Tod nutzte das Shōgunat diesen Konflikt in der Gründerfamlie aus und spaltete die Jōdo Shinshū, indem es es Kyōnyo kurzerhand einen eigenen Haupttempel, den heutigen Östlichen Hongwanji (Higashi Hongwanji), schenkte.
Bis heute ist diese Spaltung der Schule, obwohl sie nur auf einem Politikum beruhte, das sich seit Jahrhunderten erübrigt hat, niemals überwunden worden. Beide Tempel liegen nördlich des Hauptbahnhofs von Kyōto und sind nur zwei Kilometer voneinander entfernt. Auf den ersten Blick sind sie - zumindest für den westlichen Besucher - zum Verwechseln ähnlich. Erst gründliches Hinblicken auf die Details enthüllt zahlreiche Unterschiede, z.B. in der Liturgie. Außerdem haben beide Tempel eine eigene akademische Tradition ausgebildet: Zum Westlichen Hongwanji (Nishi Hongwanji) gehört die Ryūkoku-Universität und zum Östlichen die Ōtani-Universität.
Die Jōdo Shinshū in Deutschland
Der deutsche Shin-Buddhismus gehört zwar noch heute zu den kleineren Gemeinschaften innerhalb des deutschen Buddhismus, aber er kann aber auf eine schon über fünfzigjährige Geschichte zurückblicken. Ursprünglich in Berlin gegründet, ist das wichtigste Zentrum heute die Buddhistische Begegnungsstätte Anjin-Dō in Mönchengladbach.
Eine besondere Bereicherung war die Einrichtung des EKO-Tempels in Düsseldorf. Zwar ist dieser Tempel, der als Teil des Hauses der japanischen Kultur auch eine lokale Sehenswürdigkeit ist, als Oase für alle Buddhisten gedacht, in seiner Einrichtung ist er aber ein originaler Tempel der Jōdo Shinshū Hongwanji-ha und auch die zwei ansässigen japanischen Priester gehören dieser Schule an.
Als Pionier des deutschen und auch europäischen Shin-Buddhismus ist Harry Pieper7b> (1907-1978) besonders erwähnenswert, der auch in Japan hohes Ansehen genießt. Geboren in Berlin, schloss er sich schon früh dem Buddhistischen Haus in Berlin Frohnau an, das von Paul Dahlke gegründet war und die Theravada-Tradition vermittelte. Von 1930 bis 1934 (eine andere Quelle sagt bis 1938) war er dessen Leiter, danach wurden alle weiteren Aktivitäten von der Gestapo verboten. Harry Pieper traf sich in den folgenden Jahren mit einer kleinen konspirativen Gruppe zu Dharmasitzungen im Dachgeschoss einer Berliner Mietswohnung. Ein künstlerisch begabtes Mitglied malte mit Kreide ein Buddhabild an die Wand, während Harry Piper auswendig Texte aus dem Pāli-Kanon rezitierte.
Nachdem er 1946 aus der russischen Gefangenschaft zurückgekehrt war, gründete er die „Buddhistische Mission“, die sich stärker dem Mahāyāna öffnete. In dieser Zeit war er Mitglied des tibetisch orientierten Arya Maitreya Mandala von Lama Angarika Govinda.
Ab 1954 hatte er Kontakt zu dem Physikprofessor und überzeugten Shin-Anhänger Osamu Yamada, der ihn Schritt für Schritt in die Shin-buddhisische Lehre einführte. Noch im selben Jahr fand eine Begegnung mit dem damaligen Monshū, S.E. Kōshō Ōtani statt, dessen Persönlichkeit und Art, den Dharma zu vermitteln, Harry Pieper stark beeindruckten und den letzten Ausschlag gaben, sich auf den Pfad des Reinen Landes zu begeben.
In den folgenden Jahren Harry Pieper seine langjährige Erfahrung mit Organsation und Vereinsarbeit nutzen. Schon am 16. Januar 1956 gründete er die Buddhistische Gemeinschaft Jōdo Shinshū. Bald folgten seine wichtigsten Übersetzungen: Kōshō Ōtanis: "Der Glaube der Jodo-Shinshu". Ryuichi Fujiis: "Die wahre Bedeutung des Buddhismus", Kyōto 1957 "Buddhistische Religion", Kyōto 1958 u.a.
In den frühen Sechziger Jahren empfing Harry Pieper die Ordination zum Shin-buddhistischen Priester. Bis zu seinem Lebensende setzte er sich für die Vermittlung des Shin-Buddhismus ein, und die meisten wichtigen Persönlichkeiten des europäischen Shin-Buddhismus sind direkt oder indirekt seine Schüler, z.B. Jean Eracle, der Gründer der Genfer Sangha.
Privat lebte Harry Pieper ein normales bürgerliches Leben als Dolmetscher, insbesondere für amerikanische und englische Militärangehörige in der geteilten Stadt. Er war verheiratet und hatte zwei Töchter. Der Buddhismus war für ihn eine Sache des Alltags, nicht der großen Worte und Vorsätze. Ein Freund und Weggefährte Harry Piepers, Valentin von Maltzan, würdigte ihn darum in seinem Nachruf mit den Worten: „Seine Einfachheit entsprang nicht Unwissen. Er hatte ein außerordentliches buddhistisches Wissen. Er hatte – wie viele europäische Buddhisten – sich erst in der Vielfalt der buddhistischen Lehrrichtungen zurechtfinden müssen. Der Shin-Buddhismus war für ihn nicht die Krönung unter den verschiedenen Richtungen – der Shin-Buddhismus war einfach der ihm angemessene Weg – und als er ihn gefunden hatte, suchte er nicht mehr weiter.“