Shin-Buddhismus in Deutschland
In Deutschland gehört der Shin-Buddhismus zwar noch heute zu den kleineren buddhistischen Gemeinschaften, aber er kann auf eine schon über sechzigjährige Geschichte zurückblicken.
Als Pionier des deutschen und auch europäischen Shin-Buddhismus ist Harry Pieper (1907-1978) zu nennen, der auch in Japan hohes Ansehen genießt. Geboren in Berlin, schloss er sich schon früh dem Buddhistischen Haus in Berlin Frohnau an, das von Paul Dahlke gegründet war und die Theravada-Tradition vermittelte. Von 1930 bis 1934 (eine andere Quelle sagt bis 1938) war er dessen Leiter, danach wurden alle weiteren Aktivitäten von der Gestapo verboten. Harry Pieper traf sich in den folgenden Jahren mit einer kleinen konspirativen Gruppe zu Dharmasitzungen im Dachgeschoss einer Berliner Mietswohnung. Ein künstlerisch begabtes Mitglied malte mit Kreide ein Buddhabild an die Wand, während Harry Piper auswendig Texte aus dem Pāli-Kanon rezitierte.
Nachdem er 1946 aus der russischen Gefangenschaft zurückgekehrt war, gründete er die „Buddhistische Mission“, die sich stärker dem Mahāyāna öffnete. In dieser Zeit war er Mitglied des tibetisch orientierten Arya Maitreya Mandala von Lama Angarika Govinda.
Ab 1954 hatte er Kontakt zu dem Physikprofessor und überzeugten Shin-Anhänger Osamu Yamada, der ihn Schritt für Schritt in die Shin-buddhisische Lehre einführte. Noch im selben Jahr fand eine Begegnung mit dem damaligen Monshū, S.E. Kōshō Ōtani statt, dessen Persönlichkeit und Art, den Dharma zu vermitteln, Harry Pieper stark beeindruckten und den letzten Ausschlag gaben, sich auf den Pfad des Reinen Landes zu begeben.
In den folgenden Jahren Harry Pieper seine langjährige Erfahrung mit Organsation und Vereinsarbeit nutzen. Schon am 16. Januar 1956 gründete er die Buddhistische Gemeinschaft Jōdo Shinshū. Bald folgten seine wichtigsten Übersetzungen: Kōshō Ōtanis: „Der Glaube der Jodo-Shinshu“. Ryuichi Fujiis: „Die wahre Bedeutung des Buddhismus“, Kyōto 1957 „Buddhistische Religion“, Kyōto 1958 u.a.
In den frühen Sechziger Jahren empfing Harry Pieper ehrenhalber die Ordination zum Shin-buddhistischen Priester. Bis zu seinem Lebensende setzte er sich für die Vermittlung des Shin-Buddhismus ein, und die meisten wichtigen Persönlichkeiten des europäischen Shin-Buddhismus sind direkt oder indirekt seine Schüler, z.B. Jean Eracle, der Gründer der Genfer Sangha.
Privat lebte Harry Pieper ein normales bürgerliches Leben als Dolmetscher, insbesondere für amerikanische und englische Militärangehörige in der geteilten Stadt. Er war verheiratet und hatte zwei Töchter. Der Buddhismus war für ihn eine Sache des Alltags, nicht der großen Worte und Vorsätze. Ein Freund und Weggefährte Harry Piepers, Valentin von Maltzan, würdigte ihn darum in seinem Nachruf mit den Worten: „Seine Einfachheit entsprang nicht Unwissen. Er hatte ein außerordentliches buddhistisches Wissen. Er hatte – wie viele europäische Buddhisten – sich erst in der Vielfalt der buddhistischen Lehrrichtungen zurechtfinden müssen. Der Shin-Buddhismus war für ihn nicht die Krönung unter den verschiedenen Richtungen – der Shin-Buddhismus war einfach der ihm angemessene Weg – und als er ihn gefunden hatte, suchte er nicht mehr weiter.“
Pieper inspirierte die Gründung weiterer Shin-Buddhistischer Gruppen in Europa. In den 80ger und 90ger Jahren entstand eine Reihe deutscher übersetzungen Shin-buddhistischer Hauptschriften furch Kakuryo Kell. 1996 wurde Thomas Moser als erster Deutscher offiziell in Kyōto zum Priester ordinieren.
Mitte der 90ger Jahre entstand in Düsseldorf auf Initiative des japanischen Industriellen Yehan Numata das EKŌ-Haus der Japanischen Kultur. Der dazu gehörige EKŌ-Tempel steht zwar allen Schulen des Buddhismus offen, aber der Form und Einrichtung nach ist es Europas erster Shin-Buddhistischer Tempel, an den auch zwei Shin-buddhistische Priester aus Japan wirken.