Geschichte des Shin-Buddhismus
Ursprünglich gab es in Kyōto nur wenige Anhänger des Shin-Buddhismus. Aber der Familie Shinrans gelang es im Lauf der Zeit, das Grabmal Shinrans in Kyōto zu einer Pilgerstätte und schließlich zu einem bedeutenden Tempel auszubauen, dem Hongwanji („Tempel des Grundgelübdes“). Aus dem Amt des Grabpflegers wurde das Amt des Monshū, des Oberhaupts der Schule. Selbst der heutige (25.) Monshū ist noch ein direkter Nachfahre Shinrans. Fast alle Shin-buddhistischen Gruppen wurden früher oder später unter dem Dach des Hongwanji zusammengefasst, nur wenige kleinere (z.B. die Takada-ha) bestehen bis heute relativ unabhängig.
Rennyo Shōnin (1415-1499), dem achten Monshū, ist es zu verdanken, dass der Shin-Buddhismus zur anhängerreichten buddhistischen Schule aufstieg. Er war ein begnadeter Briefeschreiber und Motivator, der den Shin-Buddhismus mit sicherer Hand durch eines der düstersten Zeitalter der japanischen Geschichte, die späte Muromachi-Zeit, steuerte.
Nachdem der Hongwanji mehrmals Opfer von bewaffneten Überfällen durch Mönche anderer Schulen geworden war, ließ Rennyo an einer strategisch günstigen Stelle, wo sich heute die Burg von Ōsaka befindet, einen befestigten Tempel errichten. Dieser sogenannte Ishiyama-Hongwanji war für Jahrzehnte ein Machtfaktor in Japan. In 1580ger Jahren, als die Klosteranlagen auf dem Berg Hiei von dem brutalen Kriegsherrn Oda Nobunaga zerstört und tausende Mönche getötet wurden, wurde auch der Ishiyama Hongwanji angegriffen, aber er trotzte einer 10jährigen Belagerung. Am Ende vereinbarte man allerdings freien Abzug für die Verteidiger und die Tempelfestung wurde geschliffen.
Diese weiche Lösung eines Kompromissen mit Nobunaga war aber nicht im Sinne aller. Kyōnyo, der älteste Sohn des damaligen Monshū Kennyo, hatte sich energisch für eine Fortsetzung der Belagerung ausgesprochen und war deshalb von seinem Vater enterbt worden. Nach Kennyos Tod nutzte das Shōgunat diesen Konflikt in der Gründerfamlie aus und spaltete die Jōdo Shinshū, indem es es Kyōnyo kurzerhand einen eigenen Haupttempel, den heutigen Östlichen Hongwanji (Higashi Hongwanji), schenkte.
Bis heute ist diese Spaltung der Schule, obwohl sie nur auf einem Politikum beruhte, das sich seit Jahrhunderten erübrigt hat, niemals überwunden worden. Beide Tempel liegen nördlich des Hauptbahnhofs von Kyōto und sind nur zwei Kilometer voneinander entfernt. Auf den ersten Blick sind sie – zumindest für den westlichen Besucher – zum Verwechseln ähnlich. Erst gründliches Hinblicken auf die Details enthüllt zahlreiche Unterschiede, z.B. in der Liturgie. Außerdem haben beide Tempel eine eigene akademische Tradition ausgebildet: Zum Westlichen Hongwanji (Nishi Hongwanji) gehört die Ryūkoku-Universität und zum Östlichen die Ōtani-Universität.