Als Unsui und Shin-Buddhist einmal um die Welt: Pilgerschaft durch Bihar und Uttar Pradesh (Indien)
von Meik Nörling
In Indien war ich nun zum dritten, und mit Sicherheit zum letzten Mal. Viele Inder unternehmen unbewusst alles, um mir den Aufenthalt so madig wie möglich zu machen. Die Hotel-Bewertungen im Internet sind gefaked, es werden falsche Fotos verwendet und unkorrekte Ortsangaben gemacht. Teilweise läuft ein und dasselbe Hotel unter mehreren Namen, mit unterschiedlichen Fotos und Ortsangaben. Das bekommt man aber erst mit, wenn einen der Taxifahrer mit Hilfe von telefonischen Nachfragen schon dort abgeliefert hat. Vom echten Zustand der Hotelzimmer erfährt man auch erst, nachdem man eingecheckt und bezahlt hat. Das war 2016, bei meiner zweiten Indien-Reise, noch nicht so schlimm. Immer schon schlimm waren hingegen die kleinen Betrügereien der Taxifahrer, das stets „fehlende“ Wechselgeld und das andauernde Verlangen von Trinkgeldern für Leistungen, die man teilweise gar nicht haben will oder die inkludiert sein müssten wie zum Beispiel funktionierende Hoteleinrichtung (Safe, Klimaanlage, etc.). Ich könnte noch mehr aufzählen, aber darum soll es nun nicht mehr gehen, sondern um meine Pilgertour.
Nachdem ich bereits am ersten Tag fluchtartig das gebuchte Hotel verlasse, komme ich in „Little Tibet“ von Neu Delhi unter. Die ehemalige Flüchtlingssiedlung des östlichen Manju-ka-tilla ist ein freundlicherer Ort als viele Gegenden der indischen Hauptstadt, hat sogar zwei kleine tibetische Klöster. Die nahegelegenen Friedenspagode von Delhi, die vom Nichiren-Orden Nipponzan Myohoji Daisangha gegründet wurde, schaue ich mir natürlich auch an. Leider wird der dazugehörige japanische Tempel aktuell von keinem Priester betreut.
Mitte März fliege ich von Delhi nach Bodhgaya und wohne dort, wie bereits 2016, im Kloster Root Institute, das zur tibetischen Gelugpa-Schule gehört. Bereits am nächsten Tag besuche ich den globalen buddhistischen Hauptpilgerort, den Mahabodhi Mahavihara. Täglich versammeln sich hier pilgernde Menschen aus aller Welt (insbesondere natürlich aus Asien), sowohl Ordinierte als auch Laien, um den Buddha Shakyamuni, der hier seine Erleuchtung erfuhr, zu verehren, Andachten und Pujas zu halten oder selbst unter dem Bodhi-Baum oder in dessen Nähe zu meditieren. Eine eigene leise Andacht vollziehe ich dann auch im Mahabodhi Tempel, umrunde den turmartigen Bau samt Bodhi-Baum danach dreimal, während ich mit meiner Ojuzu Nenbutsu abzähle, dem Ort entsprechend hier „Namo-Shakamuni-Butsu“. Neben diesem Haupttempel von Bodhgaya gibt es noch viele verschiedene kleinere Tempel- und Klosteranlagen. Jedes buddhistische Land will sich in Bodhgaya repräsentieren und so hat jedes mindestens einen Tempel oder ein Kloster hier errichten lassen, manche, wie Thailand und Japan, sogar mehrere. Natürlich gibt es auch mehrere tibetische Klöster hier. Alle großen tibetischen Orden sind vertreten. Einige dieser Klöster und Tempel schaue ich mir während meiner Zeit in Bodhgaya an, längst nicht alle. In einigen vollziehe ich kurze Andachten, in anderen ist es mit einer Verneigung vor dem Hauptaltar und ein paar „Namandabu“ schon getan. Im Kloster Root Institute selbst gibt es aktuell kein Retreat-Programm. Einzig die Mahlzeiten, zu denen man sich anmelden muss, bestimmten den Tagesablauf. Bei der Anmeldung hatte ich angegeben, das ich in der Soto-Zen-Tradition ordiniert bin und auch der Jodo Shinshu angehöre und dann ein Retreat-Häuschen zugewiesen bekommen. Darin vollziehe ich meine Morgen- und Abendandachten und sitze dabei auch Zazen.
Nach enigen Tagen alleine unternehme ich eine geführte buddhistische Pilgertour durch die Bundesstaaten Bihar und Uttar Pradesh, die ich mir von einer chinesischen Reiseagentur habe zusammenstellen lassen. Ich werde im Kloster in Bodhgaya abgeholt und bereise mit meinem Guide Sharad und meinem Fahrer Ashok die verschiedenen Orten der Lebensstationen des Erhabenen:
Von Bodhgaya aus geht es nach Rajgir, wo Buddha auf dem Geierberg wichtige Belehrungen wie das Lotos-Sutra, das Große Sutra und die Weisheits-Sutras verkündet hat und wo später das erste buddhistische Konzil stattfand. Auf dem Weg nach Vaishali, wo eine Kurtisane der frühen Sangha einen Hain als Klostergelände spendete, machen wir Halt bei der Ausgrabungsstätte der alten Klosteruniversität von Nalanda und in Bihar’s Hauptstadt Patna, das zu Buddhas Zeiten Pataliputra hieß. Von Vaishali aus fahren wir nach Kushinagar, wo der Erhabene ins Parinirvana einging. In Kushinagar sind, ebenso wie in Bodhgaya, viele buddhistische Nationen durch Repräsentativ-Bauten, also Tempel oder Klöster, vertreten, der Haupttempel ist aber der Mahaparinirvana Tempel. Die vorletzte Station ist Shrawasti, wo Buddha Shakyamuni während der 45 Jahre, in denen er den Dharma lehrte, die meisten Regenzeit-Perioden verbracht hatte. Auch hier wurden der Sangha bereits zu Buddhas Lebzeiten von Gönnern zwei Haine geschenkt, in denen zuerst hölzerne Bauten und in den darauf folgenden Jahrhunderten dann Gebäude mit Ziegelfundament errichtet wurden. Meine Pilgerreise auf Gautama Buddhas Spuren endet im Gazellenhain von Sarnath bei Varanasi, wo der Erhabene seine erste Lehrrede über die Vier Edlen Wahrheiten und den Mittleren Achtfachen Pfad gehalten hatte.
Nach der Pilgerreise denke ich zurück an die vielen anderen Pilger, insbesondere an diejenigen, die sich unter oder nahe dem Bodhibaum in Bodhgaya am Mahabodhi Tempel niedergesetzt hatten, um zu meditieren und vielleicht auch „etwas zu erfahren“. Hatte ich mir auch einen Moment des Erwachens erhofft, während meiner Pilgertour durch Bihar und Uttar Pradesh? – Ich würde lügen, wenn ich „Nein!“ sagen würde, aber im Grunde genommen ging es mir nicht darum. Mir ging es darum, dem Buddha und seinem Leben nachzuspüren, ihm nah zu sein und auf dem Boden zu wandeln, auf dem er gewandelt ist. Wenn man dabei dann einen Moment der Einsicht oder des Einblicks hat, dann ist das natürlich ein wunderbares Geschenk, aber so etwas erzeugen oder forcieren zu wollen oder es gar zu erwarten, das sind aus meiner Sicht dann doch falsche Vorstellungen. Ich kam gar nicht auf die Idee, mich bei 40°C zum Meditieren ins Freie zu setzen, auch nicht im Schatten eines Baumes!
Und so bin ich dann auch nicht enttäuscht, wenn während dieser zehntägigen Tour nichts dergleichen passiert, nichts zugefallen ist. Ich bin mit meiner Pilgerreise auf Buddhas Spuren sehr zufrieden, habe viel gesehen und viel erlebt und wieder einiges aus Buddhas Leben vernommen, was ich schon vergessen hatte, was nicht mehr präsent war. Mein Reiseführer Sharad meint, dass unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Vorstellungen sich auf diese Reise machen, und seine Aufgabe sei es, die Erwartungen, soweit sie denn überhaupt erfüllbar sind, nach Möglichkeit zu erfüllen. Ich denke das hat er sehr gut hinbekommen!