Als Unsui und Shin-Buddhist einmal um die Welt: Letzte Station der Weltreise / Kanada
Die letzten beiden Stopps meiner Weltumrundung sind in Kanada, in Vancouver im Bundesstaat British Columbia und in Montreal (Quebec). Bei Kanada denkt man natürlich an spektakuläre Landschaften und weite, fast unberührte Natur, aber als einzelner Reisender, der sich allein keinen Mietwagen und kein Wohnmobil ausleiht, beschränkt sich mein Besuch des Landes in der Hauptsache auf die urbanen Bereiche der Flughafen-Städte, also darauf, wo ich mit dem ÖPNV oder zu Fuß hinkommt.
In Vancouver befindet sich quasi die Zentrale der Jodo Shinshu Buddhist Temples of Canada (JSBTC), dem kanadischen Ableger unserer Jodo Shinshu Nishi Hongwanji-ha. Ich hatte im örtlichen Tempel, dem Vancouver Buddhist Temple, bereits ein paar Tage vorher von Hawaii aus angefragt, ob ich zur Sonntagsandacht kommen könnte. Die Antwort war herzlich aber mit dem Rat begleitet, möglichst ein Taxi zu nehmen, welches mich direkt vor dem Tempel rauslässt, da die Gegend „rau“ sei. Eine Taxifahrt wollte ich mir in Kanada eigentlich nicht gönnen und empfand den Ratschlag als etwas übertrieben. Aber gleich am ersten Tag, auf meiner Fahrt vom Flughafen zur Unterkunft, sehe ich die Sache in einem anderen Licht. Die Fahrt ging vom Flughafen mit der Metro ins Zentrum und von dort mit dem Bus über die Hastings Street nach Osten. Als der Bus das alte Viertel Chinatown erreicht traue ich meinen Augen kaum, bin fassungslos! Über einen Kilometer fährt der Bus durch ein Elendsviertel, das krasser nicht sein könnte: Überall auf dem Bürgersteig und an den Hauswänden kauern Obdachlose, die meisten davon offensichtlich drogensüchtig, viele wohl auch Alkoholiker. Ich sehe Menschen auf offener Straße und am frühen, hellen Morgen fixen, zwischen die Zehen, wohl deshalb, weil keine Armvene mehr zu finden ist. Viele andere haben das schon hinter sich und lehnen oder liegen jetzt ohnmächtig (oder tot?) nach dem Schuss an Hauswänden oder davor. Die Menschen hier sind in einem Grad der Verwahrlosung, den ich so noch nicht live gesehen habe, weder im Frankfurter Bahnhofsviertel, noch in San Francisco oder in Delhi oder Varanasi in Indien, auch andernorts nicht. In Indien hatte ich Lepra-Kranke beim Betteln gesehen, die würdevoller auftraten als die hiesigen Junkies, von denen viele zerlumpt, abgemagert und ungepflegt sind. Auch der Tempel liegt in dieser Gegend, und so nehme ich dann Sonntag ein Taxi zur Andacht. Die wird von Rev. Bishop Tatsuya Aoki gehalten, den ich auf der Europäischen Shin-Konferenz kennengelernt hatte. Ich wusste allerdings nicht, dass er auch Schauspieler ist und beispielsweise in „The Man in the High Castle“ und „The Terror“ mitgespielt hat. Das Oberhaupt der kanadischen Shin-Buddhisten bringt mich nach der Andacht mit seinem Auto aus Chinatown raus, damit ich kein Taxi rufen muss und nicht Gefahr laufe, auf dem Fußweg zur nächsten Bushaltestelle angeschnorrt, beklaut oder überfallen zu werden.
Tatsächlich merke ich während meines Aufenthalts in Vancouver, dass sich das Elend auf das Gebiet des alten Chinatown konzentriert. Die früher hier lebenden, hauptsächlich asiatisch-stämmigen Kanadier sind mittlerweile in bessere Gegenden weggezogen. Nur Leute, die sich das nicht leisten konnten oder hier Geschäfte und Kneipen betreiben, sind geblieben. Immer wenn ich ins Zentrum fahre, zum Beispiel um zum Stanley Park, zum Hafen, oder ins Anthropologische Museum der Uni zu kommen, fährt meine Buslinie über die Hastings Street durchs Elend. Von Vancouver aus unternehme ich auch eine Tagestour nach Vancouver Island, besuche dort die Stadt Victoria und die Butchart Gardens.
Während Vancouver noch irgendwie ein bisschen asiatisch wirkte, mit vielen asiatisch-stämmigen Kanadierinnen und Kanadiern außerhalb von Chinatown, ist Montreal mehr multi-kulti, auf den frankophonen Teil der Welt bezogen, denn hier in Quebec ist die Hauptsprache Französisch. Mein touristischer Schwerpunkt liegt hier insbesondere auf den alten Kirchen in der Altstadt von Montreal sowie dem Sankt Josephs Oratorium, einer der größten Kirchen von ganz Amerika.
Für einen buddhistischen Pilger ist Montreal rückblickend keine so gute Wahl: Die Niederlassung der JSBTC wurde vor ein paar Jahren geschlossen, teilte insoweit das Schicksal unseres Anjin-Do. Bei einer Zen-Sangha frage ich auch an, aber die lehnen das einmalige Reinschauen eines buddhistischen Pilgers bei einem der Zazen-Abende ab – immerhin antworten sie und sind ehrlich.
Allgemein ist es so, dass die buddhistischen Tempel in Kanada sich auf den Websites offen und Willkommen-heißend geben, und meist sind Öffnungszeiten von morgens bis zum späten Nachmittag angegeben, ab und an mit einer Mittagspause. Wenn man dann aber einfach hingeht und unangemeldet reinschauen will, findet man die Türen verschlossen vor. Und wenn man vorab eine E-Mail schreibt, dann bekommt man nicht selten gar keine Antwort.
Natürlich ist es so, dass ein weltreisender Pilger bei einem Dharma-Abend Unruhe bedeuten kann. Und ich denke, viele Sanghas außerhalb Asiens sind daran interessiert, dass Leute aus der Gegend reinschauen – potentielle neue Sangha-Mitglieder – keine Pilger, die nur auf der Durchreise sind.
So befasste ich mich dann etwas mehr mit der Kultur und Geschichte der First Nations, letztere bekanntlich ähnlich tragisch wie die der Hawaiianischen Ureinwohner.