Als Unsui und Shin-Buddhist einmal um die Welt: Japan, Teil 1 / Kanto und Kyushu
von Meik Nörling
Meine Barschaft beschränkt sich aktuell auf unter 200 €, beide Kreditkarten sind gesperrt und mit meiner EC-Card kann man außerhalb der EU kein Bargeld abheben. Es wird fast die ganzen ersten beiden Wochen in Japan in Anspruch nehmen, die damit einhergehenden Probleme zu lösen und natürlich lebe ich, bis ich an frisches Bargeld komme und bis dann neue Kreditkarten vorliegen, sparsam. Solche Aktionen wie Taxifahrten sind da nicht drin, ebenso wenig teure Museumsbesuche oder mal abends in die Kneipe gehen. Bargeld schicke ich mir von meinem Konto via Western Union (WU). Das ist einfacher als ich dachte, aber auch nicht. Die Transaktion ist simpel, kostet bei den ersten Malen nichts. Dafür ist aber der Wechselkurs Euro in Yen so schlecht, dass man 10% verliert. Das Problem ist dann allerdings eine Filiale zu finden. Laut Google-Maps und der WU-App gibt’s davon reichlich in Japan, aber erst die vierte, die ich besuche, in Tokyo, zahlt das Geld anstandslos aus. Von den anderen drei existierten zwei gar nicht mehr, obwohl sie laut Internet noch da sein müssten, und die verbleibende Filiale, wo man kein Englisch sprach, weigerte sich auszuzahlen oder konnte das mangels Bargeld nicht. Dort bestand man auf eine telefonische Voranmeldung. (Wie das, wenn da kein Englisch gesprochen wird?) Die Kreditkarten schicken mir dann meine Eltern per Express-Kurier. Die Banken wollten dafür mehrere Hundert Euro an Gebühren haben. Damals, 2016, hatte ich dieses Problem auch, aber nur mit einer Karte, da kostete das noch deutlich unter 100 €!
Die Zeit bis alles wieder normal läuft, nutze ich natürlich auch für meine Pilgertouren, auch wenn ich hierbei deutliche Abstriche mache und alle Ziele ausfallen lasse, für die eine Taxifahrt notwendig wäre. Es bleiben immer noch viele Tempel und Klöster in der Kanto-Region rund um Tokyo und südlich des Berges Fuji übrig – zu viele, um sie hier alle aufzuführen und über sie zu schreiben. So beschränke ich mich dann vor allem auf diejenigen mit Bezug zum Shin-Buddhismus.
Da wäre zunächst der Inada Gobo Sainenji zu nennen, der im Dorf Inada nördlich von Tokyo an dem Ort errichtet wurde, an den Shinran Shonin mit seiner Familie zog, als seine Verbannung nach Echigo aufgehoben wurde. Der Tempel ist kein Touri-Magnet – man muss schon wissen, warum man sich ihn anschaut und sich vorab über seine Historie informieren, sonst wird man von dem Ort enttäuscht, insbesondere wenn man nicht der Jodo Shinshu angehört.
Auch für Nicht-Shin-Buddhisten ist hingegen der Tsukiji Hongwanji direkt in Tokyo interessant, der nach dem Großen Kanto-Erdbeben (1923) von 1931 bis 1934 als lokaler Haupttempel unserer Jodo Shinshu Nishi Hongwanji-ha in altindischem Stil aber moderner Architektur wieder aufgebaut wurde (ursprünglich 1617 erbaut). Hier werden zu bestimmten Zeiten sogar Andachten auf Englisch gehalten und der Tempel versteht sich als modernes Bindeglied zwischen traditionellem Shin-Buddhismus in Japan und den Shin-Buddhisten die global verstreut leben, insbesondere in den beiden Amerikas und auf Hawaii, aber natürlich auch andernorts in Asien, in Australien und Europa.
In dem Städtchen Chigasaki südlich des Fuji treffe ich mich im Zen-Tempel Hakuhoji mit Nishida Tokugen Roshi und seinem Nachfolger, dem aktuellen Abt Kuga Tetsuro-Sensei. Der Tempel der Soto Shu blickt immerhin auf eine Geschichte zurück, die mit seiner Gründung 1544 begann. Hier wurde als junger Mann mein eigener Zen-Meister Bussan Shoshin Roshi vom damaligen Abt Enzui Chigen Daiosho ordiniert. Im Hakuhoji begann er quasi seine Laufbahn als Zen-Mönch. Der Friedhof des Tempels ist auch die Ruhestätte von Enzui Chigen Daiosho. Im Hakuhoji wurde Shoshin Roshi vor ein paar Jahren von Tokugen Roshi der Dharma übertragen, so dass auch unser Zen-Tempel Butsugenji die Linie von Enzui Chigen und Nishida Tokugen nunmehr auch in Westfalen fortsetzt. Ich tausche mich mit den beiden Zen-Priestern über meine Reise, die Entwicklung hier und in unserem kleinen Tempel Butsugenji aus, wir essen gemeinsam zu Mittag und vollziehen abschließend gemeinsam eine kleine Andacht am Grab des Daiosho. Die beiden Priester wünschen mir weiterhin alles Gute auf der Reise, wir werden natürlich in Kontakt bleiben.
Ein paar Tage vor dem gebuchten Flug nach Fukuoka kommen die Kreditkarten im Hotel in Fujisawa an, die Reise kann nun normal weitergehen.
Auf Kyushu besuche ich in Hakata den Mangyoji. Das ist der Shinshu-Tempel an dem Rev. Gojun Shichiri (*1835 bis +1900) gelebt und gelehrt hat. Einhundert seiner Dharma-Talks sind in dem Buch „Thus Taught Master Shichiri“ auf Englisch übersetzt worden, jeden der ersten 100 Tage meiner Reise hatte ich einen davon gelesen. Südlich von Hakata besuche ich auch den Zendoji, das ist das örtliche Hauptkloster der Jodo Shu Chinzei-ha, welches von Shoko-bo Bencho Shonin (*1162 bis +1238), einem älteren Dharma-Bruder von Shinran Shonin, gegründet worden ist.
Im Süden der Insel war der Shin-Buddhismus lange Zeit verboten, weil die lokalen Fürsten Ikko-Ikki-Aufstände fürchteten (von 1555 bis 1876). Die Anhänger mussten zu anderen buddhistischen Schulen konvertieren. Viele übten jedoch den Nenbutsu-Glauben in der Tradition von Shinran Shonin weiterhin im Geheimen aus. Wurden sie entdeckt, wurden sie verfolgt und bestraft. In der Stadt Kagoshima besuche ich den gleich nach Aufhebung des Verbots gegründeten Kagoshima Hongwanji und nehme dort an einer Amida-Sutra-Andacht teil. Auch den etwa zur selben Zeit gegründeten Koshoji Betsuin besuche ich. Dieser gehört einem anderen Zweig der Jodo Shinshu an, deren Haupttempel sich in Kyoto auf dem Nachbargrundstück unseres Nishi Hongwanji befindet.
Den Abschluss meiner Pilgerreise auf Kyushu bildet ein Besuch des Kirishima Jingu. Das ist ein Shinto-Schrein am Vulkan-Berg Kirishima, der einst das Zentrum des Kirishimako-Glaubens war. Diese Sekte entstand, als sich die örtlichen Shin-Buddhisten samt ihrer Priesterschaft zu Beginn des hiesigen Jodo Shinshu-Verbots zur Tarnung dem Schrein anschlossen. Sie praktizierten im Gebiet rund um den Schrein im Verborgenen weiter, aber über die Jahrzehnte und Jahrhunderte sickerten örtliche Legenden und shintoistische Vorstellungen in den Nenbutsu-Glauben und es entstand eine völlig neue Religion, mit teilweise mir befremdlichen Ausprägungen wie Speisevorschriften (Verbot von Hühnerfleisch) und einem eigenen Schöpfungsmythos rund um Amida Buddha. An dem Schrein bekommt man von dieser Historie heute allerdings nichts mit. Einmal kann ich die japanischen Schilder und Info-Tafeln nicht lesen, und dann ist mir unbekannt, ob der Kirishimako-Glaube überhaupt noch existiert. Nachdem die Existenz der bis in die 1950er Jahre geheimgehalten Sekte eher zufällig entdeckt wurde, sanken die Mitgliederzahlen bis in die 1990er rapide. Rund um den Kirishima sind seit der Aufhebung des Verbots natürlich auch lokale Shinshu-Zweigtempel entstanden, denen sich die Bevölkerung nun wieder zuwendet. In einem Interview mit einem der wenigen Kirishimako-Priester gegen Ende des letzten Jahrhunderts gab dieser an, dass die Zukunft seiner Gemeinschaft ungewiss sei. Aus meiner Sicht ist der Kirishima Jingu heute ein normaler Shinto-Schrein, aber eben einer mit einer seltsamen Geschichte, die er mit der Jodo Shinshu teilt!